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Industrie drohen Mehrkosten in Milliardenhöhe

Industrie drohen Mehrkosten in Milliardenhöhe

Industrie drohen Mehrkosten in Milliardenhöhe. Der weltgrößte Stahlkonzern Arcelor-Mittal will zum dritten Quartal die Preise für seine deutschen Kunden kräftig anheben. "Wir werden zum Juli die Preise erhöhen müssen", sagt Arcelor-Mittal-Vorstand Robrecht Himpe im Gespräch mit dem Handelsblatt. Grund seien die gestiegenen Rohstoffkosten, die auf die Kunden etwa aus der Fahrzeug- und Maschinenbauindustrie umgelegt werden müssten. Die geplante Erhöhung ist happig: Um fast ein Drittel soll es nach oben gehen. Da die Stahlproduzenten bereits im ersten und zweiten Quartal kräftig ihre Tarife erhöht hatten, wird sich der Preis für den wichtigsten Werkstoff der Industrie in diesem Jahr fast verdoppeln. Umgeschlagen auf die gesamte deutsche Stahlproduktion - auch Thyssen-Krupp und Salzgitter planen Preissteigerungen - rollen damit auf die Stahlkäufer jährliche Mehrkosten in Höhe von 11,5 Mrd. Euro zu. Für Verarbeiter wie den Haushaltsgerätehersteller Miele stellt sich die Frage, wie sie die Belastungen an die Kunden weitergeben können. Arcelor-Mittal begründet die Verteuerung mit den steigenden Kosten für Eisenerz und Kokskohle - die Rohstoffe, aus denen Stahl produziert wird. Der Verbund der marktdominanten Minenbetreiber Vale, Rio Tinto und BHP Billiton hatte kürzlich das bestehende Preissystem mit den Stahlproduzenten gekippt. Statt Jahresverträge schließen sie nur noch Quartalskontrakte und koppeln die Rohstoffpreise an den Spotmarkt - damit wurde es schnell richtig teuer. Die Preise für Erz und Kohle haben sich zum April fast verdoppelt; eine weitere Preisrunde steht zum dritten Quartal an. "Wir als Stahlindustrie können auf den Kosten nicht sitzen bleiben, ohne eine Weitergabe stünden wir schlecht da", sagt Himpe. Die Entwicklung auf den Rohstoffmärkten ist zum ärgsten Problem der Wirtschaft avanciert. Mit 47 Prozent nennt fast die Hälfte aller deutschen Industriebetriebe die Preise von Energie und Rohstoffen das Risiko Nummer eins für die wirtschaftliche Entwicklung ihres Unternehmens in diesem Jahr. Das ergibt eine Umfrage, die der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zu Jahresbeginn unter rund 25 000 Unternehmen gemacht und exklusiv für das Handelsblatt ausgewertet hat. "Seither hat sich das Risiko noch verschärft - die Rohstoffpreise sind weiter gestiegen und belasten damit zunehmend die Konjunktur", sagt DIHK-Chefvolkswirt Volker Treier. Deutschland muss 95 Prozent der benötigten Rohstoffe importieren. Diese Abhängigkeit macht sich derzeit bei der Stahlproduktion bemerkbar. Denn während die Preise für Rohöl, Nickel und Kupfer seit Mitte April gefallen sind, geht die Verteuerung bei Erz und Kohle ungebremst weiter. Die Bergbaukonzerne spielen ihre Dominanz gnadenlos aus. Die Kostenexplosion bei Stahl trifft auch die sich von der Wirtschaftsflaute erholenden Branchen Fahrzeugbau und Bauindustrie. Der Preis für den von den Autobauern nachgefragten warmgewalzten Flachstahl soll nun auf 650 Euro pro Tonne steigen, wie Himpe sagt. Im ersten Quartal kostete die Tonne noch 380 Euro, im zweiten bereits 480 Euro. Doch mit der Anhebung zum Juli wird nicht Schluss sein. "Wir werden sehen müssen, wie sich der Euro-Kurs entwickelt. Sollte dieser schwach bleiben, dann werden wir die Preise um 20 bis 30 Euro im August oder September anheben müssen", sagt Himpe. Da Rohstoffe in Dollar abgerechnet werden, belastet der Verfall der europäischen Gemeinschaftswährung zusätzlich die Bilanzen. Bei den Kunden stößt die Preispolitik auf Widerstand. Ein Sprecher des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) bezeichnete die Erhöhungen als "dramatisch" für die Unternehmen. Er bezweifelte, dass damit lediglich die höheren Rohstoffpreise ausgeglichen werden. Diese machten nur einen Teil der höheren Stahlpreise aus, sagte der Sprecher. Im WSM sind 4 000 Unternehmen zusammengeschlossen, die jährlich rund 14 Mio. Tonnen Stahl verarbeiten. Deutschlandweit werden dieses Jahr rund 38 Mio. Tonnen des Werkstoffs geschmolzen. "Ich gehe davon aus, dass die Stahlproduzenten ihre höheren Preise am Markt durchsetzen werden können, da die Auslastung der Anlagen bereits wieder sehr hoch ist", sagt Alexander Malkwitz, Stahlexperte der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Den Kunden bleibt keine Alternative, um ihren Stahlbedarf zu decken. Eine Chance für die Stahlverarbeiter, die gestiegenen Rohstoffkosten über höhere Absatzpreise an ihre jeweiligen Kunden weiterzugeben, sieht DIHK-Ökonom Treier kaum. Dafür sei der Wettbewerbsdruck zu groß. Die Stahlabnehmer werden also zumindest einen Teil der Mehrbelastungen in ihren Bilanzen verdauen müssen. Für die Zukunft können sich die Kunden der Hüttenkonzerne auf eine Beruhigung einstellen. Preiserhöhungen wie in diesem Jahr werde man in den kommenden Jahren nicht mehr sehen, sagt Arcelor-Mittal-Vorstand Himpe: "Die Stahlverbraucher müssen sich aber auf ein dauerhaft hohes Niveau einstellen." Grund sei der Rohstoffhunger der Schwellenländer, der einen Rückgang der Erz- und Kohlepreise verhindere. Um die Kunden langfristig an sich zu binden, will Arcelor-Mittal weiterhin Jahresverträge abschließen. "Allerdings brauchen wir eine neue Formel, um quartalsmäßig die neuen Rohstoffpreise in unsere Jahresverträge einzuarbeiten", sagt Himpe. Noch sperren sich viele Abnehmer aber dagegen. Sie wollen in den Verträgen feste Preise festgeschrieben sehen.

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Mittwoch, 19. Mai 2010