Nickel im Sog der Stahlkonjunktur?
Nickel im Sog der Stahlkonjunktur? Kein anderes Industriemetall hat sich seit Jahresbeginn stärker entwickelt als Nickel, so die Experten von "BörseGo" in ihrem "Rohstoff-Report". Ende April hätten die Notierungen an der London Metal Exchange (LME) mit mehr als 27.000 US-Dollar pro Tonne den höchsten Stand seit etwa zwei Jahren erreicht. Das sei gleichbedeutend mit einer Verteuerung um mehr als 40 Prozent in nur drei Monaten. Allerdings seien die Kurse Anfang Mai innerhalb weniger Tage wieder um rund 6.000 US-Dollar beziehungsweise etwa 20 Prozent eingebrochen. Das als chronisch volatil bekannte Erz habe seinem Ruf somit einmal mehr alle Ehre gemacht. Die Meinungen über die weitere Entwicklung würden derzeit weit auseinander gehen. Während Optimisten eine Fortsetzung der Rally erwarten würden, würden Pessimisten mit weiteren deutlichen Rückschlägen rechnen. Dabei würden beide Seiten gute Argumente finden, um ihre jeweilige Position zu begründen. Auf der einen Seite würden die Fundamentaldaten auf eine konjunkturelle Erholung der Weltwirtschaft hinweisen, was für steigende Preise spreche. Auf der anderen Seite seien die Nickellagerbestände mittlerweile nach historischen Maßstäben sehr hoch, wodurch weitere Zugewinne limitiert werden sollten. Darüber hinaus gebe es erste Anzeichen für eine restriktivere Wirtschaftspolitik des größten Verbraucherlandes China, das gegen eine mögliche Überhitzung der Wirtschaft und die steigende Teuerung vorgehen wolle. Dem gegenüber zeige die chinesische Stahlindustrie bisher kaum Zeichen einer nachlassenden Produktionsdynamik, und mittlerweile fasse die Stahlkonjunktur auch in den Industrieländern zunehmend deutlicher Fuß. Alles in allem ergebe sich also ein recht unklares Bild, das reichlich Interpretationsspielraum biete. Um die Entwicklung der vergangenen Monate richtig einordnen zu können, sei ein Blick auf die fundamentalen Charakteristika des Nickelmarktes unabdingbar. Grundsätzlich betrachtet handle es sich um einen ausgesprochen konjunktursensiblen Rohstoff. Etwa 60 bis 70 Prozent des Erzes werde bei der Herstellung von korrosionsfestem Stahl verbraucht. Weitere 20 Prozent würden zu sonstigen Legierungen verarbeitet, der Rest verteile sich auf die Galvanotechnik und chemische Anwendungen. Neben der Primärnickelproduktion komme dem Recycling aus Stahlschrott eine wichtige Rolle als Sekundärquelle zu. Vor allem in China habe sich zudem die Produktion von "Nickel Pig Iron" als Substitut etabliert. Gegenüber "konventionellem" Nickel zeichne sich das Substitut vor allem durch niedrigere Produktionskosten und geringere Qualität aus. Der Reinheitsgrad (i.S.v. Nickelgehalt) von Nickel Pig Iron betrage 1,5 bis maximal 20 Prozent. Im Vergleich dazu komme herkömmliches Nickel auf einen durchschnittlichen Nickelanteil von 25 bis 40 Prozent. Folglich habe die Entwicklung der Stahlproduktion erheblichen Einfluss auf die Nachfrage, die wiederum stark von der Weltkonjunktur abhänge. Die positive Preisentwicklung der vergangenen Monate sei in erster Linie auf die unerwartet robuste Entwicklung des chinesischen Stahlmarktes zurückzuführen. Während die Produktion der Industrieländer im vergangenen Jahr regelrecht eingebrochen sei, habe das gigantische Konjunktur- und Infrastrukturprogramm der chinesischen Regierung die inländische Stahlnachfrage angefeuert. China sei mit etwa einem Drittel der globalen Nachfrage das mit Abstand wichtigste Verbrauchsland. Zudem hätten chinesische Einkäufer das in ihren Augen niedrige Preisniveau genutzt, und vor allem im vergangenen Sommer große Mengen Nickel auf dem Weltmarkt aufgekauft. Anscheinend sei ein beträchtlicher Teil der Importe eingelagert worden, möglicherweise um eine strategische Reserve aufzubauen. Was für die letzen Monate Gültigkeit gehabt habe, werde aus heutiger Sicht auch die kommenden Monate bestimmen. China sei und bleibe die entscheidende Stellschraube auf dem Nickelmarkt. Sollte die Nachfrage des Landes sich deutlich abschwächen, wäre das wohl gleichbedeutend mit einem Preisrückschlag. Trotz erheblich verbesserter Bedingungen könnten die übrigen Industrie- und Schwellenländer die entstandene Nachfragelücke wohl kaum füllen. Aktuell sei davon jedoch kaum etwas zu spüren: Alleine in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres sei die globale Produktion von rostfreiem Stahl nach Angaben des International Stainless Steel Forum (ISSF) auf 7,5 Millionen Tonnen gestiegen. Das seien rund 55 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, was dem stärksten Zuwachs seit mehr als 30 Jahren entspreche. In China betrage der entsprechende Zuwachs etwa 38 Prozent. Bei der Analyse der Daten sollte jedoch beachtet werden, dass es sich bei dem entsprechenden ersten Vergleichsquartal 2009 um den Zeitraum mit den niedrigsten Produktionsziffern seit mehr als zehn Jahren handle. Aussagekräftiger sei der Vergleich mit dem Vorquartal, der zwar immer noch positiv ausfalle, jedoch bei weitem geringer: Auf globaler Ebene stehe hier ein Plus von 11,5 Prozent zu Buche, in China betrage die Steigerung 8,9 Prozent. Vergleiche man der Reihe nach die Zuwachsraten der einzelnen Quartale, werde schnell deutlich, dass der Markt sich zwar mit großem Tempo erhole, die Erholung jedoch zunehmend an Dynamik verliere. Dieser Trend spiegele sich auch in der Entwicklung der Nickellagerbestände an der LME wieder. Im vergangenen Februar habe der Handelsplatz mit mehr als 160.000 Tonnen den höchsten jemals erreichten Wert gemeldet. Der deutliche Lageraufbau gehe wahrscheinlich in erster Linie auf die Abschwächung der chinesischen Nachfrage in den letzten beiden Quartalen zurück, die nicht von den OECD-Staaten habe kompensiert werden können. Mittlerweile scheine sich das Blatt aber wieder gewendet zu haben, die Bestände seien tendenziell rückläufig, wenn auch weiterhin auf hohem Niveau. Offenbar würden einige bisher eher zurückhaltende Stahlkocher dazu übergehen, die eigenen Bestände wieder aufzufüllen. Anscheinend erscheine den Käufern das gegenwärtige Preisniveau nicht als zu hoch, wozu auch die deutlichen gestiegenen Stahlpreise beitragen würden, durch sie sich ein Teil der Mehrkosten auf die Konsumenten abwälzen lasse. In der Gesamtschau scheine es um die Fundamentaldaten auf dem Nickelmarkt derzeit nicht schlecht bestellt zu sein. Sollte ein konjunktureller Rückschlag ausbleiben, würden die Notierungen bei einem Niveau von 20.000 bis 21.000 US-Dollar erscheinen, zumindest gut unterstützt zu sein. Allerdings würden weiterhin erhebliche Unsicherheiten bestehen bleiben, nicht zuletzt auf Grund der anhaltenden Sorgen um die Stabilität der Eurozone beziehungsweise die Verfassung der Anleihenmärkte, die sich auch auf die Rohstoffmärkte auswirken würden. Spezifische Herausforderungen für den Nickelmarkt seien die weiterhin hohen Lagerbestände sowohl in China als auch in Europa, sowie die voraussichtlich deutlichen Outputsteigerungen der Nickelproduzenten als Reaktion auf das aktuelle Preisniveau. Zudem sollten die Probleme der Hersteller Vale und BHP mit dem kanadischen Sudbury Schmelzer beziehungsweise der australischen Nickel West Minen in absehbarer Zeit gelöst werden, was kurzfristig Druck von der Angebotsseite nehmen sollte. Mit großem Interesse würden Marktteilnehmer auch die bald beginnende Produktion der ebenfalls zu Vale gehörenden Goro-Mine in Neu Kaledonien beobachten, eines der größten derzeit anlaufenden Projekte weltweit. Bei planmäßigem Verlauf wäre im Gesamtjahr mit einer deutlichen Verbesserung des Nickelangebots zu rechnen, was sich in einem klaren Jahresüberschuss niederschlagen sollte. Vor diesem Hintergrund scheinen größere Preissteigerungen hauptsächlich dann möglich, wenn die Nachfrage der Stahlindustrie sich weiter ausgesprochen positiv entwickelt, so die Experten von "BörseGo". Sollte die chinesische Regierung ihre Maßnahmen zur Abkühlung der Wirtschaft ausweiten, müsste sich ein neues Zugpferd finden, um den Nachfrageausfall auszugleichen. Falls dies nicht der Fall sein sollte, drohe aus charttechnischer Sicht ein Rückfall auf die Unterstützungszone bei 17.750 US-Dollar. Sollte auch diese Zone nicht halten, etwa bei einem Rückfall der Weltwirtschaft in eine Rezession, wäre mit einem erneuten Test der Unterstützung bei circa 10.300 US-Dollar und letztlich dem Vorjahrestief von rund 9.000 US-Dollar zu rechnen. Allerdings erscheine diese Variante nach Ansicht der Experten als unwahrscheinlich. Gegenwärtig favorisiere man eine Verteidigung der Unterstützungszone bei 20.000 bis 21.000 US-Dollar, die von einem Anstieg auf den Widerstand bei 24.885 US-Dollar gefolgt werden sollte. Bei einer nachhaltigen Überwindung dieser Marke wäre aus technischer Sicht der Weg bis 35.000 US-Dollar frei. Dazu bedürfte es aber wohl eines externen Katalysators, wie beispielsweise durch anhaltende Versorgungsstörungen aufgrund von Streiks oder Naturereignissen.
