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Warum die Stahlindustrie vor dem Umbruch steht

Warum die Stahlindustrie vor dem Umbruch steht

Warum die Stahlindustrie vor dem Umbruch steht. Hohe Rohstoffkosten und die Macht der Bergbaukonzerne zwingen die deutschen Firmen zu Kooperationen und neuen Preismodellen. Um 300 Prozent hat sich Eisenerz in nur anderthalb Jahren verteuert - ähnlich sieht es bei Kokskohle aus. Die Stahlpreise kennen seit Monaten nur eine Richtung: nach oben. Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Das zumindest prognostiziert Deutschlands größter Stahlproduzent ThyssenKrupp. Grund seien die stetig steigenden Rohstoffkosten, sagt Peter Urban, der für das europäische Stahlgeschäft Steel Europe zuständige Finanzvorstand. Eisenerz zum Beispiel habe sich in den vergangenen eineinhalb Jahren um mehr als 300 Prozent verteuert und kostet aktuell gut 180 US-Dollar pro Tonne. Und auch die für den Produktionsprozess notwendige Kokskohle kostet derzeit mit über 300 Dollar schon dreimal so viel wie noch zu Beginn des Jahres 2010. "Mit einer Entspannung ist frühestens in drei Jahren zu rechnen", fürchtet Urban. "Erst dann werden neue Abbau-Projekte das Erzangebot so weit vergrößern, dass eine Erholung möglich ist." Die Kunden der deutschen Stahlhersteller wie etwa die Autoindustrie und der Maschinenbau bekommen die Kostenexplosion bereits zu spüren. So hat ThyssenKrupp bei den jüngsten Vertragsabschlüssen Ende Juni die Preise angehoben, wenn auch nicht so stark wie ursprünglich geplant. Der nächste Preisschub dürfte aber schon bald folgen. Denn ThyssenKrupp verkürzt zunehmend die Laufzeit seiner Abkommen. "Wir stellen nach und nach um auf Quartalsverträge", sagt Urban. Zudem gehe sein Unternehmen möglichst keine Preisbindungen mehr ein, die länger als ein halbes Jahr dauern. Und falls doch, dann nur noch mit einer flexiblen Rohstoffkomponente. Schließlich machen die Materialpreise der Wirtschaftsvereinigung Stahl zufolge fast 77 Prozent der Kosten bei der Rohstahlerzeugung aus. Die Berater von PriceWaterhouseCoopers (PwC) rechnen daher schon bald mit einer stark steigenden Zahl an Beteiligungen, Fusionen und Übernahmen in der Branche. "Angesichts steigender Erzpreise ist die Sicherung der Rohstoffversorgung ein zentrales Konsolidierungsmotiv in der Stahlindustrie", sagt Erwin Bronk, Stahl-Experte bei PwC und Autor der Studie "Metals Deals - Forging Ahead". Im vergangenen Jahr belief sich das Transaktionsvolumen der Untersuchung zufolge bereits auf 27 Mrd. US-Dollar. Und alleine 57 Prozent davon entfielen auf Beteiligungen und Zukäufe von Erz- und anderen Rohstoffminen. 2011 soll die sich Zahl nochmals erhöhen, zumal schon im ersten Halbjahr Deals mit einem Transaktionswert von 17 Mrd. Dollar absehbar waren. In Deutschland könnten sich Stahlproduzenten wie ThyssenKrupp, Salzgitter, Georgsmarienhütte oder SHS Stahl-Holding Saar bei der Rohstoffversorgung und -sicherung sogar zusammentun, auch mit Unternehmen aus anderen Industriebereichen wie Aluminium und Kupfer oder Zink und Blei. Bereits Ende 2010 hatte der damalige ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft Deutsche Rohstoff AG ins Spiel gebracht, um unabhängiger von den drei großen Bergbaukonzernen Vale, Rio Tinto und BHP Billiton zu werden. Denkbar sei, so die damalige Argumentation, die Beschaffungstöchter der Unternehmen in eine gemeinsame Gesellschaft einzubringen, um auf dem Weltmarkt schlagkräftiger agieren zu können. Zuletzt wurde diese Idee öffentlich kaum noch diskutiert. Hinter den Kulissen aber laufen offenbar weiterhin Gespräche, wie Stahl-Manager Urban sagt: "Das Thema wird derzeit über den Bundesverband der Deutschen Industrie weiter verfolgt." Zumal den Stahlkonzernen neue Zusatzbelastungen durch Änderungen im europäischen Emissionshandel drohen. Ende April hatte die EU-Kommission die Zuteilungsregeln neu aufgestellt. Dem europäischen Stahlverband Eurofer zufolge wird den Unternehmen dadurch zwischen den Jahren 2013 und 2020 eine Mehrbelastung in Höhe von jährlich 600 Mio. Euro entstehen. "Das ist ein einseitiger Wettbewerbsnachteil", schimpft Peter Urban. ThyssenKrupp Steel Europe, das sich alleine mit 190 Mio. Euro belastet sieht, hat daher gemeinsam mit drei weiteren Stahlherstellern Klage vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg eingereicht. Den Klägern zufolge verstoßen die Änderungen gegen die Vorgaben der europäischen Emissionshandelsrichtlinie, die Ausnahmeregelungen und damit eine Entlastung von Hochöfen und Stahlwerken vorsieht. Aktuell läuft es für die deutschen Stahlhersteller trotz der hohen Preise aber ausgesprochen gut. In den ersten sechs Monaten stieg die Rohstahlproduktion um fast zwei Prozent auf knapp 23,2 Mio. Tonnen, meldet die Wirtschaftsvereinigung Stahl. Bis Jahresende soll sich das Plus sogar auf vier Prozent mit dann 45,5 Mio. Tonnen verdoppeln. Viel mehr geht auch nicht. Denn die Kapazitätsauslastung lag laut dem Branchenverband bei zuletzt gut 94 Prozent.

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Dienstag, 26. Juli 2011